Jetzt geht es ab – Pakistan
- B&M
- 18. Nov. 2019
- 12 Min. Lesezeit
Der Grenzübergang
Wir sind auf den Grenzübergang gut vorbereitet. Haben uns Reiseberichte durchgelesen und stehen mit einem vorausfahrenden Fahrradfahrpärchen in Kontakt. Wir wissen also wie es laufen wird – glaubten wir. In unserer letzten Stadt im Iran „Zahedan“ treffen wir die letzten Vorbereitungen, wechseln Geld, decken uns mit Essen ein, machen jeweils 20 Pass- und Visa-Kopien pro Person, schlafen ausreichend und organisieren ein Taxi (einen Pickup, der auch die Fahrräder transportieren kann) zur Grenze. Wir wissen, dass man nach dem Grenzübergang von mehreren Eskorten in eine Stadt auf halber Strecke nach Quetta gebracht wird und dort in einem Hotel übernachtet. Am nächsten Morgen geht es weiter und man wird in ein Hotel nach Quetta gebracht. Nach einer Übernachtung dort fährt man mit der Eskorte alle notwendigen Dinge erledigen wie Simkarte kaufen, NOC (Berechtigung zum Reisen in Beluchistan) besorgen und Zugtickets kaufen. Man übernachtet wieder im Hotel und am nächsten Morgen nimmt man den Zug. Soweit die Theorie - nun wieder zurück zum Tag der Grenzüberquerung.
Wir fahren früh morgens aus Zahedan los. Man soll früh über die Grenze, damit die Eskorte noch am selben Tag fährt und man nicht eine Nacht an der Grenze schlafen muss. Der Grenzüberganz ist lustig, alle Leute sind mega nett und wir lernen schon viele Wörter auf Urdu und der Satz: „Mein Urdu ist sehr schlecht“ kommt gut an. Etliche Grenzbeamte tragen Maschinengewehre. Wir lernen die Unterschiede zwischen russischen, deutschen und amerikanischen Gewehren kennen. Direkt nach der Grenze werden wir von einem Levie empfangen. Levies sind irgendwie etwas Anderes als Polizei und Militär. Die drei Vereine scheinen sich einzelne Regionen aufgeteilt zu haben, für die sie verantwortlich sind. Der Levie begleitet uns zu einer Levie Station. Er klopft an das Metalltor und ein anderer Levie öffnet von innen. Es ist ca. 10:30, wir sind gespannt wie es weitergeht. Wir zeigen unsere Pässe und Visa vor und dürfen in einem Raum platznehmen, der zwar recht dreckig, aber mit Teppich und Decken sehr gemütlich ist. Benno wird nach dem zweiten Frühstück langweilig und er geht auf Entdeckungstour durch die Station. Auf der anderen Seite der Station gibt es einen weiteren Raum. Dort befindet sich auch eine weitere Person. Bennos Versuch, in den Raum zu kommen scheitert aber, da ein dickes Schloss das Öffnen der Tür verhindert. Einer der Levis schaut schon komisch. Benno wird klar, dass es ein Gefängnis ist. Hier sitzt anscheinend einer ein, der illegal über die Grenze wollte. Die Levies sind sehr sehr nett und interessiert an uns. Wir fühlen uns sehr willkommen. Naja… aber wann geht es denn nun los? Wir wollen ja irgendwann die Freiheit in Pakistan genießen. Wir fragen nach. Generell kann irgendwie jeder ein bisschen Englisch, aber jeder nur ein ganz bisschen. Unser Urdu ist wie gesagt auch sehr schlecht. Noch schlechter als deren Englisch. Die Antwort ist aber, dass heute keine Eskorte mehr fährt und wir die Nacht hier verbringen dürfen. Für uns nicht so schlimm, wir haben alles, was wir brauchen. Schreiben ein wenig Blog und laden den Blogartikel über den Iran hoch, trinken Tee mit den Levies, schauen Fernsehen in deren Aufenthaltsraum (die Maschinengewehre stehen an der Wand), bekommen sogar warmes Essen. Schmeckt irgendwie nach Indien. Auf Nachfragen soll es morgen um 8 Uhr weitergehen. Wir glauben nicht so dran und stellen uns den Wecker auf 7:20, um noch genug Zeit zum Frühstück zu haben. Einer der Levies hat formellere Klamotten an. Wir fragen ihn, ob er mit uns bis nach Quetta fährt. Er bejaht. Am nächsten Morgen ging es allerdings bereits um 7:40 los. Der Levie mit den formellen Klamotten ist nicht mit dabei.
Die Eskorten
Unsere Fahrräder laden wir auf ein Dach (ohne Dachgepäckträger) eines Autos, das Gepäck hinten rein. Es geht los! Wir fahren zunächst in den benachbarten Ort. Die Pedale machen ein übles Kratzgeräusch auf dem Dach. Nach ein paar wenigen KM macht das Auto noch andere komische Geräusche. Irgendwie ist der Reifen lose. Wir fahren zurück zur Levie Station. Es anderes Auto wird gerufen. Ein Pick-Up mit Ladefläche…cool. Aber wie sollen Marie und Benno und die zwei Levies mit Maschinengewehren auf die zwei Sitze (der Beifahrersitz ist ein wenig breiter als normal) vorne passen? Naja hat irgendwie gepasst. Ein Levie fährt, der andere sitzt zwischen den zwei Sitzen, den Schaltknüppel zwischen den Beinen und bekommt Kommandos vom Fahrer, wann er zu schalten hat. Die Situation ist lustig, sowohl für uns als auch für die Levies. Auch dieses Auto hat nach einigen KM einen Platten. Der Ersatzreifen kommt zum Einsatz. Aber auch der „Ersatzreifen“ ist eigentlich kein Reifen mehr. Wir haben noch nie solch einen abgefahrenen Reifen gesehen. Keine Stelle des Reifen lässt darauf schließen, dass er mal Profil hatte. So und jetzt im Schnelldurchlauf. Wir wechseln an dem Tag ca. 17 Mal das Auto und müssen ca. 25 Mal die Pässe und Visa vorzeigen und uns in etliche Bücher eintragen. Eigentlich wollten wir alles mitzählen, aber haben es nicht geschafft. Manchmal wurden unsere Passkopien akzeptiert und manchmal nicht. Mit dem Auto wechselt auch immer wieder das komplette Personal. Es wird teils zwischen Levies und Polizei gewechselt. Jeder scheint sein eigenes Gebiet/Bereich zu haben Wir werden immer sehr freundlich empfangen und beantworten natürlich auch brav die immer gleichen Fragen. Manchmal wird sich unterhalten, manchmal nicht. Wir lernen weiter ein wenig Urdu. Während einer Eskorte schmeißen wir die Bluetooth-Box an und haben eine lustige Party auf der Ladefläche. Die Maschinengewehre stets auf dem Schoss feiern die zwei mit Abstand lustigsten Levies (oder war es Polizei?) mit uns gemeinsam. Wir haben uns super schnell an die Maschinengewehre und die mit Tüchern vermummten Beamten gewöhnt. „Change“ oder „Checkpoint Passport/Visa“ kommt als Ansage. Manchmal hält das Auto auch an und wir wissen zunächst nicht, was passiert. Da manche Eskorten nur 10 Minuten dauern, fangen wir nach dem 5ten Mal Wechseln an zu fragen, wie viele KM die Eskorte fahren wird. Es sind Abstände von 10 bis 150 km. Aber irgendwie kommt es doch immer anders. Wir erreichen bereits kurz vor 12 Uhr mittags den Ort, wo wir laut Recherche schlafen werden, fahren allerdings vorbei. Wir fragen nach. Es geht wohl noch weiter und wir bekommen einen anderen Ort und ein anderes Hotel genannt. Auf Nachfrage ist der Preis ähnlich günstig. Also alles gut. Wir fragen nach, wie oft wir noch insgesamt bis Quetta das Auto wechseln müssen. Es sollten ca. 5 Mal sein. Gut, weil die Bikes und das ganze Gepäck von einem in das andere Auto zu laden schon recht anstrengend geworden ist. Teils helfen die Levies, Polizei und Militär auch mit, aber erstens ist es nicht deren Job und zweitens mit dem Maschinengewehr um die Schulter auch nicht so einfach. In einem Eskort wird uns gesagt, dass wir noch heute nach Quetta fahren. Der nächste Eskort verifiziert dies und der danach auch. Es scheint also zu stimmen. An einem Checkpoint treffen wir einen sehr interessierten Major, es gibt Tee (sowie an vielen anderen Checkpoints auch), wir spielen mit dem Major und seinem Staff ein wenig Frisbee und machen noch ein kleines Interview. Wir warten recht lange hier, die Atmosphäre im Sonnenuntergang ist schön. Irgendwie sind wir aufgrund ein paar Änderungen und fehlerhaften Aussagen ein bisschen misstrauisch geworden. Wir fragen den Major wie häufig wir noch wechseln müssen bis wir in Quetta sind, aber er weiß es nicht genau. Wir bitten ihn zu schätzen und er sagt „Bestimmt mehr als 20 Mal“. Uffff…. Irgendwann geht es weiter. Es ist dunkel und es wird kalt. Wir sind vorbereitet und haben Jacken und Mütze griffbereit. Es ist trotzdem verdammt kalt. Manchmal müssen wir auf die nächste Eskorte warten und können uns in einer kleinen Hütte an einem Gasherd mit warmem Tee aufwärmen. Die Stimmung ist weiterhin gut, aber es wird langsam anstrengend. Vor allem Benno ist nach einer Fahrt total fertig. Ein Pickup hat hinten die Stühle so nah einander, dass die Bikes nicht beide reinpassen. Bei Wind und Kälte muss er sein Fahrrad auf der runtergeklappten Klappe vom Pickup festhalten. Zum Glück haben wir zu mindestens einen Spanngurt bereit, um zu unterstützen. Wir werden immer müder. Inzwischen ist bereits 22 Uhr und wir fragen nach, wie häufig wir noch wechseln müssen, haben erneut den Überblick verloren. Keiner scheint es wirklich zu wissen. Manchmal bekommen wir eine Aussage. Wir fragen bei jeder Eskorte. Auf einmal bekommen wir Aussagen, denen wir trauen können. Noch 6 Mal, noch 5 Mal, noch 4 Mal – wir erkennen eine Zahlenreihe . Benno verfolgt die Entfernung auf dem GPS mit. Wir werden es wirklich innerhalb von einem Tag machen. Dies haben wir in keinem einzigen Erfahrungsbericht gelesen. Benno schaut noch einmal nach, wo wir sind und fängt auf einmal an heftig zu fluchen. Sein Handy ist weg. Wir klopfen an die Scheibe des Fahrers und halten an und erklären die Situation. Wo ist es? In der letzten Eskorte oder in der davor? Wir sind müde. Der Fahrer telefoniert und nach 10 Minuten kommt ein Auto und reicht Bennos Handy aus dem Fenster. Juhuuu. Der Fahrer bekommt Küsse von Benno. Er und Benno freuen sich. Wir fahren weiter. Es wird immer kälter, wir sehen bereits die Lichter von Quetta. Noch einmal müssen wir an einer Polizeistation etwas länger warten. Anscheinend werden VIPs durch die Stadt eskortiert und gerade ist keine Polizeieskorte frei. Es gibt Tee und der Polizeiofficer ist echt lustig. Dann geht es weiter. Noch 4 Mal wechseln, obwohl wir schon in der Stadt sind. Das Hotel in Quetta soll ziemlich blöd sein, nicht besonders schön, 15€ für das Doppelzimmer und das muss man auch noch hart verhandeln - klingt irgendwie nicht so angenehm. Eine Eskorte fragt uns, ob wir in der Polizeistation oder im Hotel nächtigen wollen. Wir wählen die Polizeistation. Doch wir haben gelernt, was die eine Eskorte sagt, muss nicht unbedingt stimmen. Allerdings wird diese Aussage von der nächsten Eskorte validiert. Seit Stadteinfahrt ist es nur noch Polizei, die uns eskortiert. Wir sind echt müde und es ist kalt. Benno geht um den Pickup herum, wo die Fahrräder, das Gepäck und wir hinten wieder hinten rein sollen. Er traut seinen Augen nicht. Hinten sitzt einer mit einem Kamin mit Feuer drin. Die Räder kommen aufs Dach. Zum Glück haben wir den Gurt am Start. Ist auch jetzt irgendwie alles scheiß egal. Noch einmal wechseln. Der letzte Eskort-Pickup hat auch ein Feuer hinten drin. Allerdings kein Kamin. Die Jungs haben einfach Backsteine direkt auf die Ladefläche gelegt und dort brennt ein Feuer mit Holz. Es ist unglaublich, die Normalität dieser Absurdität ist unvorstellbar. Unsere Fahrräder werden in ein zweites Fahrzeug geladen und wir sollen in das brennende Auto. Wir wehren uns nicht, wir sind zu müde. Wir können aufgrund des Feuers kaum Atmen und husten extrem. Zum Glück war diese Fahrt nur kurz und wir kommen endlich in der finalen Polizeistation an. Wir dürfen uns in den „Schlafsaal“ der Polizisten auf den Boden legen. Direkt neben einen anderen Touristen, den wir noch ein wenig zur Seite schieben müssen.
Die Polizeistation
Direkt neben der Polizeistation gibt es in der Kantine Frühstück. Es gibt Omelette mit Chili und Milch-Tee. Alle Leute sind sehr nett zu uns und versuchen uns weiterzuhelfen. Danach werden wir zu einem Büro gefahren. Wir wechseln einmal das Auto, sitzen jeweils hinten im Pickup neben zwei Polizisten mit Maschinengewehren. Es ist faszinierend, wie normal diese Situation schon geworden ist. In dem Büro bekommen wir unser NOC (no objection certificate). Dieses NOC benötigen wir, um weiter zu reisen (siehe Fotos). Passkopien, Visa und unsere Reiseroute sind erforderlich. Danach geht es wieder zurück in die Polizeistation. Am Nachmittag fahren wir erneut mit einer Eskorte zum Bahnhof und kaufen unsere Tickets für die 32h Zugfahrt nach Peschawar am nächsten Morgen um 9 Uhr. Wir bitten darum, dass wir noch eine Simkarte kaufen können, es wird allerdings gesagt, dass wir dies später erledigen. Zurück in der Polizeistation klopfen wir an die Tür, wo anscheinend ein Verantwortlicher sitzt und erklären, dass wir noch eine Simkarte benötigen. „Wait“ ist die Antwort. Wir warten ein wenig, legen uns noch einmal hin. Nach ca. 2h fragen wir erneut. Leider ist es nun schon zu spät, die Shops sind geschlossen. Wir verstehen, dass wir es morgen vor dem Zug machen sollen. Später fragen wir erneut. Leider öffnen die Shops erst um 9 und daher wird es doch nicht möglich sein. Wir ärgern uns über die Situation, aber uns ist auch klar, dass Unwissenheit gekoppelt mit Sprachbarrieren zu diesem Resultat geführt haben. Naja… Dann werden wir die Zugfahrt wohl ohne mobile Daten verbringen. Klappt schon alles irgendwie. Zu Abend essen müssen wir auch noch. Wir haben zwar noch Snacks, aber Marie wünscht sich etwas Warmes. Auf Nachfrage wird uns von einem anderem Officer gesagt, dass wir in ein paar Minuten eine Eskorte zum Basar erhalten, um dort etwas zu essen. Leider passiert nix. Wir fragen erneut nach. Inzwischen hat der Officer gewechselt und leider ist es nicht mehr möglich zum Basar zu fahren - oder es war von Anfang an nicht möglich, wir wissen es nicht. Marie ist echt angepisst und den Tränen nahe. Die Erschöpfung, die ganze Zeit nur von Männern umgeben, keine wirkliche Privatsphäre, keine selbstbestimmten Entscheidungen, immer neue Leute, manche starren, manche wollen Selfies machen – insgesamt kommt sie echt gut auf die Situation klar. Aber der Hunger gibt ihr dann den Rest. Netterweise finden wir einen Polizisten, der für uns mit einem Moped zum Basar fährt und uns ein warmes Abendessen kauft. Er fährt ohne Socken und feste Schuhe, nur in seinen Sandalen und es ist kalt. Er hätte Schuhe und Socken, aber es ist anscheinend nicht weit, sagt er. Als er wiederkommt, hält er seine Füße direkt in die Flamme eines brennenden Gasofens des Kollegen, der die Vordertür bewacht. Es ist vollkommen absurd, was hier abgeht.
Am nächsten Morgen fahren wir mit unserem Gepäck zum Bahnhof, bzw. werden natürlich wieder eskortiert. An unseren Fahrrädern haben wir die Sättel abmontiert, den Lenker quergestellt und mit Karton und Folie die Fahrräder umwickelt. Von einem Vorausfahrenden wissen wir, dass es sein kann, dass diese im Gepäckabteil des Zuges nicht gut behandelt werden.
„How often do we need to change the car?“ „One“ ist die Antwort vom Polizisten. 10 Minuten später zeigt derselbe Polizist aus demselben Pickup und sagt „Trainstation“. Wir sind da ohne umgestiegen zu sein. Ein Beispiel eines Missverständnisses.
Quer durchs Land mit dem Zug
Wir fahren morgens um 9 Uhr los, die Zugfahrt dauert 32h bis wir in Peschawar ankommen. Wir geben die Fahrräder ab und hoffen, dass wir sie heile wiedersehen. Die Zugfahrt erinnert uns an die Zugfahrt von Mumbai nach Goa vor 8 Jahren, unser erstes Mal außerhalb von Europa. „Chai, Chai, Chicken Beriani“ ruft der Verkäufer alle halbe Stunde durchs Abteil. Marie wird von einer Familie in ihr „Frauenabteil“ eingeladen.
Der Unterschied zwischen Männern und Frauen scheint extremer zu sein als im Iran. Wir werden ziemlich interessiert angeschaut - wir kommen nun in Regionen, in denen Ausländer doch noch recht selten sind. Auf der Suche nach einem Hotspot findet Benno eine Familie mit drei Kindern. Er setzt sich dem Mann gegenüber hin und bemerkt erst dann, dass auch eine Frau auf der langen Bank quasi neben ihm sitzt. Irgendwie ist die Situation komisch. Der Mann steht auf und die beiden Männer setzen sich in ein benachbartes Abteil. Später kommt die Familie zu uns rüber und auch hier sitzen Benno und der Mann getrennt von Marie und seiner Frau.
Innerhalb der ersten 8h Zugfahrt werden wir extrem häufig kontrolliert. Es scheint Security zu geben, die den Zug begleitet und immer wieder wechselt. Zudem kommt an jeder großen Haltestelle einer rein, der unsere Ausweise sehen will. Dazu kommt, dass wir ca. 8 Mal unser Ticket vorzeigen müssen, da anscheinend der Zugbegleiter ebenfalls wechselt. Nach einer Weile geht es uns schon auf die Nerven. Benno fragt einen der Typen, der den Ausweis sehen will nach seinem eigenen Ausweis. Er hat keinen. Hmm… „What are you? Are you police?“ „No, I am special, like CIA“. Wir haben schon von dem Geheimdienst hier gehört. Er zeigt uns auf seinem Handy ein Foto von uns beiden, das in Quetta vor dem Einsteigen von einem anderem Officer von uns gemacht wurde. Aha, es wird anscheinend alles nachverfolgt. Alles wird in einer WhatsApp Gruppe festgehalten. „All for your safety“. Auch er macht Fotos von uns und unseren Ausweisen. Ein solches Prozedere passiert noch ca. 3 Mal und hört auf, als wir Belutschistan verlassen. Als wir in Peschawar ankommen, nehmen wir unsere Fahrräder unversehrt entgegen. Glück gehabt. Die Polizei hilft uns, ein Taxi zu organisieren. Aber zuvor werden noch einmal die Ausweise kontrolliert und ein letztes Foto von uns in die WhatsApp Gruppe gepostet. Achso und die Zugfahrt war mit Verspätung 35h.
Qaisar Mahmood Arbab
In Peschawar haben wir einen Warmshowers Gastgeber, mit dem Benno schon etwas länger in Kontakt steht. Er heißt uns willkommen. Wir planen, hier ein paar Tage klarzukommen und uns darauf vorzubereiten, durch dieses abenteuerliche Land zu reisen. Vielleicht kann Qaisar Mahmood Arbab uns ja dabei helfen. Er ist ein 62-jähriger Familienvater, scheint nicht arm zu sein, hat eine Kuh als Hobby und sein Englischwortschatz ist sehr groß. Er selbst war noch nie außerhalb des Landes. Er reist von zu Hause aus und bezeichnet sich selbst als einen „virtual wanderer“. Wir haben interessante Gespräche und er hilft uns, die Kultur besser zu verstehen. Insbesondere macht uns der Unterschied zwischen Frauen und Männern zu schaffen. Wie sollen wir damit umgehen? Was ist erlaubt und was nicht? Welche falschen Interpretationen können entstehen, wenn wir einer Frau oder einem Mann zulächeln? Wir können einige Unklarheiten für uns ausräumen und Qaisar hilft uns, die Hintergründe zu verstehen. Augenkontakt zwischen Mann und Frau sei wohl nicht so gut, es ist der erste Schritt zu einer Liebesbeziehung. Zudem bekommt Marie ein neues Outfit geschenkt. Das war sehr wichtig, davor ist sie quasi im Bikini rumgelaufen – zumindest könnte man es so für uns Europäer vergleichen. Sie fühlt sich direkt wohler und das Starren wird weniger.
Qaisar ist seit 7 Jahren aktiv auf Couchsurfing und hat bereits 55 Reisende aus der ganzen Welt gehostet. Er erzählt uns von seiner ersten Couchsurferin, eine junge Polin. Dass sie sich beim Essen direkt neben ihn gesetzt hat und sich immer wieder zu ihm rübergebeugt hat, als er auf seinem Handy etwas nachschauen wollte und dass seine Frau darüber ziemlich sauer war. Seine Familie interessiert sich für die Ausländer insgesamt eher weniger.
Qaisar hat quasi ein Ferienhaus („Hujra“, was so viel bedeutet wie „Teil vom Haus außerhalb des Hauses“) neben seinem Familienhaus. Dies scheint hier so üblich zu sein, einen gesonderten Bereich für männlichen Besuch zu haben. Die Frauen beherrschen das Familienhaus und Benno ist es nicht erlaubt, diesen Bereich zu betreten. Das Haus soll wohl auch ein „Schutz“ für die Frauen sein, ein Bereich, in dem die Frau vielleicht Frau sein darf? Benno wird es nie erleben. Marie schon, sie bekommt eine Hausführung und lernt Frau, Mutter und Tochter kennen. Die sind alle sehr verhalten, aber lächeln freundlich. Am zweiten Abend kocht die Frau auch Magen-Tee für Marie, die mal wieder ein bisschen Magenverstimmung hat und sich einmal übergeben muss. Vielleicht ein Zeichen, wie schwer es erstmal fällt, alles Neue zu „verdauen“. Und es gibt noch so viel zu lernen – Qaisar bezeichnet uns als „Neulinge“ in der Welt der Reisenden. Komisch, eigentlich dachten wir, dass wir inzwischen schon viel Erfahrungen gesammelt haben. Aber anscheinend ist da noch so viel mehr… Zum Beispiel der Unterschied zwischen einem Touristen und einem Reisenden. Touristen reisen zwar durch die Welt, kriegen aber von dem Leben der Leute nicht viel mit. Sie klappern die Hotspots ab, die extra für Touristen errichtet wurden. Reisende dagegen tauchen tiefer ein in Kultur, lernen, wie die Leute in anderen Ländern leben. Wir sind wohl in der Welt der Reisenden angekommen, aber wir sind gespannt und bleiben neugierig, wie es weitergeht!
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